Donnerstag, 18. Februar 2016

Ungewohnt, aber muss jetzt sein: Buch "Bilderkrieger"

Der Ankerherz-Verlag liegt mir sehr am Herzen: kennen gelernt habe ich ihn über das Buch "Sturmkap", in dem Stefan Krücken die unglaubliche Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts beginnt, zur See zu fahren - damals noch auf einem Großsegler - und der später als Kapitän mit der Viermastbark "Priwall"als letztem Segelschiff, das Ladung transportiert, nach Kap Hoorn fährt.

In meinem Pop-Up-Laden mit Fachvermietung, dem "Känschterle" in der Fußgängerzone von Staufen, sitze ich nun und lese ein anderes Buch aus diesem Verlag mit Herz: "Bilderkrieger". Ich lese und komme kaum noch los von diesem Buch. Jedes Mal, wenn die Ladentür aufgeht, muss ich mich einen Augenblick besinnen, wo ich eigentlich bin. So sehr fesseln mich die Interviews mit Fotografen und Fotojournalisten, die, wie der Untertitel besagt, "ausziehen, uns die Augen zu öffnen". 



Bild: Ankerherz-Verlag




Frauen und Männer, die einen ganz besonderen Job machen: sie fotografieren im Krieg. Für mich eine unvorstellbare Sache: mit Soldaten herumziehen und (im besten Fall) von ihnen beschützt werden, um jeden Tag die grässlichsten Momente eines Krieges in Bildern fest zu halten, mit einem Bein immer am Abgrund. Ständiger Begleiter: das Wissen, dass sie die nächsten sein könne, die sterben. Aber auch die Angst: nicht das richtige Bild zu machen und uns Menschen hier zu Hause nicht zeigen zu können, wie es wirklich zugeht in Bagdad, Fallujha, Mosul. 






Die Interviews sind (fast) alle vor dem Syrienkrieg entstanden und beschreiben die Arbeit im Irakkrieg. Da das Buch von 2 amerikanischen Fotografen initiiert wurde, sind es auch häufig Amerikaner oder Fotografen, die mit Amerikanern unterwegs waren, die zu Wort kommen. Dabei lerne ich: es gibt Zensur. Nenn mich blauäugig, aber so klar war mir das nicht. Ich dachte immer, das hat was mit einem Berufsethos zu tun: keine Sterbenden fotografieren aus moralischen Gründen oder so. Nein, seid ungefähr 2004 müssen Reporter unterschreiben, dass sie dies oder jenes nicht fotografieren. Aber ich lerne auch: die Entscheidung liegt oft beim Kommandanten der Truppe, in die der Reporter eingebunden (embedded) ist. Und so gelangen dann doch Bilder zu uns, wie die, die Chris Hondros (der am 20. April 2011 bei einem Schusswechsel in Libyen getötet wurde) 2005 im Irak machen konnte, als amerikanische Soldaten ein Auto beschossen, was direkt auf sie zufuhr. Bei dem Gefecht wurden Mutter und Vater erschossen, die 6 Kinder der Familie überlebten hinten im Auto.







Viele der Interviewten sagen ganz deutlich: Krieg ist sche**e. "Joao Silva ist einer der Initatoren des Buches und er macht klar, dass die Amerikaner nicht hätten in den Irak einmarschieren dürfen. " Ich kann nicht sagen, dass ich ein kompletter Kriegsgegner war, aber ebenso wenig war ich dafür." Diese Zerrissenheit wird in allen Gesprächen deutlich und macht mir klar, dass die Menschen hinter der Linse auch zerrissene Persönlichkeiten sind: viele kommen aus gutbürgerlichen Verhältnissen und es treibt sie keine Sucht nach Adrenalin in die Kriegs- und Kriesengebiete dieser Welt sondern der tiefe Wunsch, zu zeigen, was dort gerade passiert. Oft lese ich heraus: ich habe das Gefühl, dass ich gar nicht zeigen kann, was da los ist. Und Yuri Kozyrev bringt es für mich auf den Punkt, als er sagt, die Menschen (in Amerika) hätten mehr Angst vor einer Kamera als vor einer Waffe. 

Denn die Kamera erzählt die Wahrheit. Und das wollen die Menschen in ihren warmen Häusern am Frühstückstisch nicht sehen, bevor sie in ihren SUV steigen, um zum Büro zu fahren. 

Wow, dieser Satz hat mich echt umgehauen - nein, das ganze Buch hat mich umgehauen und ich empfehle es jedem, dem Krieg nicht egal ist. Mir ist es nicht egal, wie Ihr wisst.






Und ich empfehle Euch in diesem Zusammenhang auch noch eine großartige Dokumentation der ARD: "Meine Flucht. Dokumente der Vertreibung". Handyfilme von Flüchtlingen dokumentieren ihre eigene, ganz persönliche Flucht und wenn Simon, ein eritreischer Flüchtling, sagt: "Als ich das Schlauchboot sah, habe ich gedacht: sind 20 Jahre Knast in Eritrea nicht vielleicht doch besser?", dann trifft mich das echt hart.






Darum: lasst uns nie vergessen, dass wir alle Menschen sind mit Hoffnungen, Wünschen, Träumen, mit Familien und Freunden, aber auch mit Ängsten, Sorgen und mit Traumata. Begegne jedem Menschen mit Freundlichkeit, so wie Du auch möchtest, dass er Dir begegnet. Ich glaube daran, dass wir das schaffen.