Montag, 18. November 2013

Angst oder Liebe?

Der neue Film von Erwin Wagenhofer ("We feed the world" und "Let´s make money") "Alphabet - Angst oder Liebe" berührt: die ersten Bildern zeigen ein Baby im Mutterleib während einer Ultraschalluntersuchung. Was wir unseren Ungeborenen in dieser Zeit alles wünschen! Nur das Beste sollen sie bekommen und alles erreichen, was sie wollen. Ein Schnitt (überhaupt lebt dieser Film von genialen Schnitten und einzigartigen Bildern!): eine stolze, chinesische Mutter, deren Sohn schon x Plätze bei Mathe-Olympiaden und im Sport gewonnen hat. Unglücklich sieht er aus, der Sohn. Man sieht, dass er keinen Spass an alle dem hat. Ernst und distanziert blickt er in die Kamera, seine Antworten kommen mechanisch und leise. Es tut weh, zu sehen, was er alles tut, damit seine Mutter, die ziemlich sicher nicht zu den Reichsten gehört und sich die Schulbildung ihres Kindes sicherlich hart erarbeitet, gerecht zu werden. Wagenhofer nutzt solche Bilder, solche Momente und ist ganz nah dran an den Menschen, deren Leben er zeigt. Ungeschönt, aber nie ungehörig. Der Zuschauer wird in einen Bann gezogen und leidet mit. 
Aber es gibt auch das andere: André Stern, der nie zu Schule gehen musste, der zu Hause lernen durfte, was er wollte. Der wunderschön Gitarre spielt und neben seiner Muttersprache französisch auch ein harmonisches Deutsch spricht. Alles selbst bei gebracht. Oder der Spanier Pablo Pineda Ferrer, der als erster Europäer mit Down-Syndrom ein Hochschulstudium abgeschlossen hat. Er hatte Lehrer, die an ihn glaubten und ihn nicht wie einen Behinderten zurück stuften und ihm nichts zu trauten. Mit all diesen unterschiedlichen Menschen zeigt Wagenhofer mir vor allem eins: nehmt Eure Kinder so an, wie sie sind und lasst sie spielen! Lasst sie das machen, was SIE SELBST wollen und nicht, was Ihr Euch für sie wünscht. Das ist schwer, das weiß ich selbst. Aber nur so können Eure Kinder glücklich werden. Denn, das ist ein treffende Aussage von Stern´s Mutter: "Wir schulden unseren Kindern vor allem eins: glücklich zu sein!" So gern wir auch wollen, dass sie besser sind als die anderen (mit 3 schon 2 Fremdsprachen fließend, ist klar) oder dass sie es mal weit bringen (göttlich die Aufnahmen aus einem Führungskräftecoaching - göttlich und unfassbar, dass junge Menschen tatsächlich so sein können: eine junge Frau sagt:" Wenn ich mit 35 das erste Kind bekomme - und das ist schon spät - und mit 37 das Zweite, dann wird das nix mit dem CEO!", ihr Gesprächspartner guckt derweil schnell auf die Uhr!), wenn das alles nicht in ihrer Natur liegt, dann werden sie unglücklich.
Sicherlich liegt die Wahrheit irgendwo zwischen Stern und China, ich denke, ganz ohne Schule geht es auch nicht. Aber wir sollten vielleicht hinterfragen, ob das, was wir in der Schule lernen und WIE wir es lernen, uns oder unseren Kindern wirklich entspricht. Yakamoz Karakurt, eine Hamburger Schülerin sagt es ganz krass:" Wir sollen in der Schule auf´s Leben vorbereitet werden, aber ich habe gar kein eigenes Leben mehr." Ich erinnere mich auch an keinen Unterricht in meiner Schullaufbahn, der mich auf die Führung eines Kontos vorbereitet hat oder wie ich Verträge richtig lese und abschließe. Lebensnahe Dinge eben. Na klar, haben da auch die Eltern eine Verantwortung, die Schule ist nicht der Erziehungsberechtigte. Aber die Aussage, dass wir in der Schule für´s Leben lernen, ist schlicht und einfach falsch. Wir lernen im Leben für´s Leben.
Und damit dieses Leben reicht und erfüllt ist, wir Hobbies haben können und Beziehungen zu anderen, lachen, leben, lesen und lieben können, müssen wir uns und unseren Kindern die Freiheit zu gestehen, zu spielen. 






Passend dazu habe ich gerade etwas Lustiges erlebt: für einen Kunden sollte ein Diagramm oder Schaubild über eine Produktrange entstehen. Allen Beteiligten war nicht ganz klar, wie das aussehen sollte. Wochenlang haben wir immer wieder hin und her probiert, bis irgendwann das Wort "Baukastensystem" fiel. Da hab ich die Holzklötze vom Minimonsieur hervorgeholt und mit den Kollegen gespielt. Und siehe da: die Lösung ist gefunden! Und nebenbei hatten wir noch königlich Spaß beim Puzzeln und Bauen. Wir sollten uns viel öfter darauf einlassen, zu spielen - einfach mal die Muster zu durchbrechen und etwas Ungewöhnliches wagen....